Friday, September 01, 2006

Die Rolle der Kirche in einer freien Gesellschaft


Georgien ist ein Transformationsland und versucht von der zentral geplanten Planwirtschaft auf die freie Marktwirtschaft zu übergehen. In der Planwirtschaft stand der einheitliche Plan im Vordergrund, dem die einzelnen Menschen untergeordnet waren. Es war damit ein einheitliches Modell gegeben, dem jeder einzelne folgte. Damit gab es keine Freiheit des Individuums.
Der demokratische Rechtsstaat, dessen Wirtschaftsgeschehen durch den Markt geregelt ist, beruht auf dem mündigen Bürger, der sich frei entfaltet und die Entscheidungen mit eigener Verantwortung trifft. Die unabdingbare Voraussetzung dafür ist die personelle Freiheit, die möglichst allen Bürgern gleichmässig gewährt werden soll. Damit aber diese Freiheit allen Bürgern gegeben werden kann, soll sie durch den Staat so weit, und nur so weit, beschränkt werden, wie es durch das Zusammenleben der Menschen notwendig ist. Dieser Forderung der individuellen Freiheit liegt die Überlegung zugrunde, “dass niemand wissen kann, wer etwas am besten weiß und daß der einzige Weg, auf dem wir es finden können, der Weg durch einen sozialen Prozess ist, in dem jedermann versuchen kann und sehen, was er zustande bringt. Die grundlegende Annahme ist hier wie überall die unbegrenzte Vielfalt der menschlichen Begabungen und Fähigkeiten und folglich die Unkenntnis des einzelnen Individuums um den größten Teil dessen, was sämtlichen weiteren Mitgliedern der Gesellschaft zusammengenommen bekannt ist”(HAYEK). Damit wird die Notwendigkeit der individuellen Freiheit hervorgehoben und wird gezeigt, dass durch die Gewährung der individuellen Freiheit jedem Einzelnen, die bessere Ergebnisse erzielt werden können. Wenn man auf diese Freiheit verzichtet, was im Fall der Erreichung der vorher bestimmten Ziele auch zweckmässiger erscheinen kann, dann soll man damit rechnen, dass damit auch gleichzeitig auf die z.Z. unvorhersehbaren Ergebnisse verzichtet wird, auf die man im Fall deren Eintritts sich freuen würde.
Das Gesellschaftsmodell, wo diese Prinzipien möglichst verwirklicht werden, wird als offene Gesellschaft genannt. Offene Gesellschaft ist eine pluralistische Gesellschaft und sie hat keine gemeinsame Hierarchie bestimmter Ziele (HAYEK).
Aus diesem Blinckwinckel betrachtet, kann die Religion leicht Auslöser solcher Prozesse werden, die offensichtlich im Widerspruch mit der offenen Gesellschaft stehen: jede Religion versucht die Welt einheitlich, also entsprechend der religiösen Vorstellungen, die ihrer Natur nach subjektiv sind, zu erklären. Und wenn diese subjektiven Überzeugungen den weltlichen Anspruch erheben, dann wird die individuelle Freiheit anderer beeinträchtigt. Daher kann die Religion nicht Richtschnur der menschlichen Beziehungen in der Gesellschaft werden, sie soll vielmehr geistige Gelegenheit des Einzelnen bleiben.
Die Kirche soll daher auf die weltlichen Ansprüche verzichten, weil dessen Ergebnis nur die zahlreichen religiösen Konflikte sein können, indem die unterschiedlichen religiösen Auffassungen miteinander in Kollision kommen. Daher soll in einer freien Gesellschaft vom Staat gewährleistet werden, dass jede einzelne die Möglichkeit bekommt aufgrund der freien Entscheidung zu bestimmen, zu welcher Religion er sich oder ob er überhaupt zu einer Religion bekennen wird. Aus diesem Hintergrund darf keiner Kirche die besonderen Rechte zuerkannt werden, ungeachtet der dazu aufgeführten Begründungen, weil dadurch die Freiheit beschränkt wird und somit auf solche Vorteile verzichtet wird, die in der Gegenwart nicht erkennbar sind.
Zu den oben aufgeführten Überlegungen soll noch eine hinzugefügt werden, nämlich die moralische Begründung der Toleranz: die Menschen sind fehlbar, d.h. wir alle sind irrtümsanfällig und können deswegen nie Gewissheit haben, ob wir Recht haben oder nicht. Daraus folgt, dass wir anderen Menschen unsere Vorstellungen nicht aufdringen dürfen, was für die Religion genauso gelten soll, als auch für andere Glaubensinhalte.
Heute ist es notwendig, eine Kooperation zwischen Kirchen und Staaten für eine normale und balancierte Gesellschaft zu haben. Aber diese Kooperation darf nicht der Unabhängigkeit der Kirche und des Staates zwischen einander schaden, und durch diese Kooperation darf nicht ein Vorrang einer bestimmten Kirche durch ,,gute Beziehungen“ mit dem Staat sich abzeichnen. Wenn das passiert, andere religiöse Einrichtungen sind a priori in Ungleichgewicht gestellt. Dass passiert manchmal in solchen Staaten, wo die absolute Mehrheit der Einwohner an eine bestimmte Religion glauben. In einer solchen Situation Staat und Kirche müssen sehr vorsichtig sein, weil es sehr einfach ist, andere religiöse Minderheiten zu kränken und ihre Glaubensfreiheit und Menschenrechte zu verletzen.
Leider gibt es in Georgien heute solche Tendenz, sehr oft werden Nichtorthodoxe als Sektierer bezeichnet und bekämpft, und es gibt keine Reaktion von Polizei und staatlicher Gewalt darauf.
Orthodoxe Kirche hat in georgischer Geschichte immer sehr große Bedeutung und wichtige Rolle gespielt, oft als Retter der georgischen Kultur und Unabhängigkeit. Diese besondere Rolle hat die georgische Verfassung berücksichtigt und in Art.9 der georgischen Verfassung unterstrichen. Aber zudem sagt georgische Verfassung, dass die Kirche vom Staat völlig unabhängig ist und dass der georgische Staat Glaubens- und Gewissensfreiheit anerkennt. Leider war orthodoxe Kirche mit solcher großen Anerkennung nicht zufrieden und hat im jahr 2002 mit georgischem Staat ein verfassungsmäßiges Abkommen abgeschlossen. Mit diesem Abkommen hat georgische orthodoxe Kirche einen Status als eine öffentliche juristische Person bekommen und eine privilegierte Stellung, den Status einer Staatskirche, de-jure erhalten. Konservative Kräfte dominieren heute in der georgischen orthodoxen Kirche. Dieser Konservatismus drängt manchmal die Gläubigen zu religiösem Extremismus: ,,Gewalttätige Übergriffe auf Andersgläubige, gewalttätige Auflösung ihrer Gottesdienste oder religiöser Feiern und die Beschlagnahme und Verbrennung ihrer religiösen Literatur sind keine Seltenheit in Georgien“ (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte Deutsche Sektion e.V., ,,Menschenrechtslage in der Republik Georgien (GUS)“ 1999.)
Die zweite Gefahr, vor der die georgische Kirche steht, ist Isolation von der anderen christlichen Welt. 1999 ist georgische orthodoxe Kirche aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), Genf, ausgetreten. Konservative Laien und einfache Priester ohne ökumenische Erfahrung haben den Patriarchen Ilia und seine Bischöfe gezwungen, aus dem ÖRK auszutreten.
Der ÖRK ist ein freiwilliger Verband von christlichen Kirchen. Ziel des Weltkirchenrates ist es nicht, eine „Super- oder Überkirche“ aufzubauen oder die eigentliche Kirche Jesu Christi darzustellen, sondern vielmehr soll auf der Grundlage von Begegnung, Dialog und Zusammenarbeit die Gemeinschaft zwischen christlichen Kirchen vertieft werden, damit sie einander als authentische Ausdrucksformen der „einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ erkennen können. Von den fast zwei Milliarden Christen weltweit sind knapp 500 Millionen durch ihre gegenwärtig 337 Mitgliedskirchen aus 120 Ländern dem Weltkirchenrat zuzurechnen. Während die protestantischen Kirchen mit über 220 eigenständigen Kirchen das Gros der Kirchentümer bilden, stellen die orthodoxen Christen mit etwa 200 Millionen Mitgliedern die zahlenmäßig größte Gruppe, gefolgt von den Anglikanern (etwa 80 Millionen Gläubige), Reformierten (etwa 70 Millionen) und Lutheranern (etwa 60 Millionen). Aus solchem großen und represäntativen Verein auszutreten wirkt gegen das Prestige der georgischen Kirche und auch gegen die Integration von Staat und Gesellschaft Georgiens in moderne Welt.


Dato Khantadze
Levan Taktakishvili


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